Überblick über die Gesetze der spiritistischen Phänomene
Aus dem Buch „Der Spiritismus in seinem einfachsten Ausdruck“ von Allan Kardec
Von den Geistern
1. Der Spiritismus ist zugleich eine Beobachtungswissenschaft und eine philosophische Lehre. Als praktische Wissenschaft besteht er in den Beziehungen, die man mit den Geistern haben kann, als Philosophie umfasst er alle moralischen Folgen, die aus diesem Verkehr fließen.
2. Die Geister sind keineswegs, wie man es sich oft vorstellt, besondere Wesen in der Schöpfung, sie sind die Seelen derjenigen, die auf Erden oder in anderen Welten gelebt haben. Die Seelen oder Geister sind also Eins und Dasselbe, woraus folgt, dass jeder, der an das Dasein der Seele glaubt, schon dadurch an die Existenz der Geister glaubt. Die Geister zu leugnen, hieße es, die Seele zu leugnen.
3. Man hat allgemein einen sehr falschen Begriff von dem Zustand der Geister; sie sind nicht, wie einige glauben, vage, unbestimmte Wesen, weder Flammen wie die Irrlichter, noch Phantome wie in den Gespenstermärchen. Es sind uns ähnliche Wesen, die einen Leib haben wie wir, der aber im normalen Zustand fluidal und für uns unsichtbar ist.
4. Wenn die Seele während des Lebens mit dem Leib verbunden ist, hat sie eine doppelte Hülle, eine schwere, grobe und zerstörbare: den Körper, und eine fluidale, leichte, unzerstörbare: Perisprit oder Geisterhülle genannt. Das Perisprit ist das Band, welches die Seele mit dem Leib vereinigt; durch seine Vermittlung lässt die Seele den Leib wirken und empfangt sie die von diesem gehabten Empfindungen. Die Vereinigung der Seele, des Perisprit und des materiellen Leibes macht den Menschen; Seele und Perisprit vom Leib getrennt stellen jenes Wesen dar, welches man Geist nennt.
5. Der Tod ist die Zerstörung der leiblichen Hülle; die Seele verlässt diese Hülle wie man ein abgenütztes Kleidungsstück ablegt, oder wie der Schmetterling seine Larve verlässt, sie behält aber ihren fluidalen Leib, das Perisprit. Der Tod des Leibes befreit den Geist von der Hülle, welche ihn an die Erde fesselte und leiden machte; einmal dieser Last ledig, hat er nur noch seinen ätherischen Leib, der ihm gestattet mit der Schnelligkeit des Gedankens den Raum zu durcheilen und alle Entfernungen zu überschreiten.
6. Die Geister bevölkern den Raum; sie machen die unsichtbare Welt aus, die uns umgibt, in deren Mitte wir leben und mit welcher wir unaufhörlich in Berührung stehen.
7. Die Geister haben alle Wahrnehmungsfähigkeiten, welche sie auf Erden besaßen, aber in einem höheren Grad, weil diese Fähigkeiten nicht durch die Materie abgestumpft werden; sie haben Empfindungen, welche uns unbekannt sind; sie sehen und hören Dinge, welche unsere beschränkten Sinne uns weder zu sehen noch zu hören gestatten. Für sie gibt es keine Dunkelheit, diejenigen aus enommen, deren Strafe darin besteht, zeitweilig in der Finsternis zu sein. Alle unsere Gedanken finden in ihnen ihren Widerhall, und sie lesen darin wie in einem offenen Buch, so dass was wir Jemandem während seines Lebens verbergen könnten, wir ihm nicht mehr verheimlichen können, sobald er ein Geist ist.
8. Die Geister behalten die ernsten Neigungen, die sie auf der Erde hatten. Sie kommen gerne zu denen, die von ihnen geliebt wurden, besonders wenn sie durch den Gedanken und die liebevollen Gefühle angezogen werden, die man für sie hegt, während sie gegen jene gleichgültig sind, die auch für sie nur Gleichgültigkeit zeigen.
9. Eine bei den Personen, die den Spiritismus nicht kennen, fast allgemeine Vorstellung ist die, dass sie glauben, die Geister müssen schon darum, weil sie von der Materie befreit sind, alles wissen und die höchste Weisheit besitzen. Das ist ein schwerer Irrtum. Da die Geister nur die Seelen der Menschen sind, so haben diese Seelen mit dem Verlassen ihrer irdischen Hülle keineswegs die Vollkommenheit erlangt. Der Fortschritt des Geistes vollzieht sich erst mit der Zeit, und allmählich nur entledigt er sich seiner Unvollkommenheiten und erwirbt die Kenntnisse, die ihm fehlen. Es wäre eben so unlogisch anzunehmen, dass der Geist eines Wilden oder Verbrechers plötzlich weise und tugendhaft werde, als es der Gerechtigkeit Gottes entgegen sein würde, zu denken, er werde immerfort auf seiner niederen Stufe bleiben. Wie es Menschen von allen Graden des Wissens und der Unwissenheit, der Gute und der Bosheit gibt, so verhält es sich auch mit den Geistern. Es gibt deren, die nur leichtsinnig und schalkhaft sind; andere sind lügnerisch, betrügerisch, heuchlerisch, böse, rachsüchtig; andere hingegen besitzen die erhabensten Tugenden und das Wissen in einem auf Erden unbekannten Grad. Diese Verschiedenheit in der Eigenschaft der Geister ist einer der wichtigsten, zu berücksichtigenden Punkte; denn sie erklärt die gute oder schlechte Beschaffenheit der Mitteilungen, welche man erhält; und sie zu erkennen, muss man sich vor allem angelegen sein lassen. (Das Buch der Geister, Nr. 100, Geister-Stufenleiter. Das Buch der Medien, Kapitel XXVI.)