Die Grundsätze des Spiritismus
Aus dem Buch „Der Spiritismus in seinem einfachsten Ausdruck“ von Allan Kardec
1. Der wesentliche Zweck des Spiritismus ist die Verbesserung der Menschen, man soll darin nur das suchen, was dem moralischen und intellektuellen Fortschritt helfen kann.
2. Der wahre Spiritist ist nicht derjenige, welcher den Äußerungen Gehör schenkt, sondern der, welcher die Lehre der Geister zur Ausführung bringt. Es hilft uns nichts zu glauben, wenn der Glaube uns nicht einen Schritt vorwärts auf dem Wege des Fortschrittes machen lässt, und uns für unseren Nächsten nicht besser macht.
3. Der Egoismus, der Hochmut, die Eitelkeit, der Ehrgeiz, die Habsucht, der Hass, der Neid, die Eifersucht, die Verleumdung sind für die Seele giftige Pflanzen, von denen man täglich einige Halme ausreißen muss, und welche als Gegengift die Nächstenliebe und Demut haben.
4. Der Glaube an den Spiritismus ist nur demjenigen vorteilhaft, von dem man sagen kann: heute ist er besser als gestern.
5. Die Wichtigkeit, welche der Mensch den zeitlichen Gütern beilegt, ist im entgegen gesetzten Verhältnisses mit seinem Glauben an das geistige Leben; der Zweifel über die Zukunft ist es, was ihn antreibt, die Befriedigung seiner Leidenschaften, seine Freude in dieser Welt zu suchen, und wäre es selbst auf Kosten seines Nächsten.
6. Die Betrübnisse auf Erden sind die Heilmittel der Seele, sie retten dieselbe für die Zukunft, wie eine schmerzhafte chirurgische Operation das Leben eines Kranken rettet und ihm die Gesundheit wiedergibt. Deswegen hat Christus gesagt: „Glücklich sind die Betrübten, denn sie werden getröstet werden.“
7. In euerer Betrübnis blickt unter euch und nicht über euch, denkt an diejenigen, die noch mehr leiden als ihr.
8. Die Verzweiflung ist bei dem natürlich, welcher glaubt, dass alles mit dem Leben des Körpers endigt; sie ist ein Unsinn bei dem, der Zutrauen in die Zukunft setzt.
9. Der Mensch ist oft der Urheber seines eigenen Unglückes auf Erden; er kehre lieber zur Quelle seiner Missgeschicke zurück und er wird sehen, dass sie am häufgsten nur die Folge seiner Unvorsichtigkeit, seines Hochmutes und seiner Habgier, und folglich seiner Übertretung der Gesetze Gottes sind.
10. Das Gebet ist eine Art der Anbetung. Zu Gott beten, heißt an ihn denken, sich ihm nähern, mit ihm in Verkehr treten.
11. Derjenige, welcher inbrünstig und mit Zutrauen betet, ist gegen die Versuchungen des Übels stärker und Gott schickt ihm gute Geister, um ihm beizustehen; es ist eine Hilfe, welche nie versagt ist, wenn sie mit Aufrichtigkeit verlangt wird.
12. Das Wesentliche liegt nicht darin, viel, sondern gut zu beten. Gewisse Leute glauben, dass das ganze Verdienst in der Länge des Gebetes liegt, während sie bei ihren eigenen Fehlern ihre Augen schließen. Das Gebet ist für sie eine Beschäftigung, eine Zeitanwendung, aber nicht eine Durchforschung ihres eigenen Wesens.
13. Derjenige, welcher Gott um die Verzeihung seiner Fehler bittet, erlangt sie nur dann, wenn er sein Betragen ändert. Die guten Handlungen sind das beste Gebet, denn die Taten gelten mehr als die Worte.
14. Das Gebet ist von allen guten Geistern anempfohlen. Es ist überdies von allen unvollkommenen Geistern als ein Hilfsmittel gewünscht, um ihre Leiden zu erleichtern.
15. Das Gebet kann nicht die Ratschlüsse der Vorsehung ändern, aber wenn die leidenden Geister sehen, dass man an ihrem Schicksale Anteil nimmt, fühlen sie sich weniger verlassen, sie werden weniger unglücklich; das Gebet ermuntert sie, erweckt in ihnen den Wunsch, sich durch die Reue und die Wiedergutmachung zu erheben, und kann sie von den Gedanken an das Übel abwenden. In diesem Sinne kann es nicht nur ihre Leiden erleichtern, sondern auch abkürzen.
16. Bete jeder nach seiner Überzeugung und nach der Art, wie er es am passendsten hält, denn die Form ist nichts, der Gedanke alles; die Aufrichtigkeit und die Reinheit des Beweggrundes sind das Wesentliche. Ein guter Gedanke ist mehr wert als zahlreiche Worte, welche dem Lärm einer Mühle ähnlich sind und denen das Herz fremd ist.
17. Gott hat starke und mächtige Menschen gemacht, damit sie die Stütze der Schwachen seien. Der Mächtige, welcher den Schwachen unterdrückt, ist von Gott verdammt. Er bekommt oft die Strafe dafür in diesem Leben, ohne der Zukunft vorzugreifen.
18. Der Reichtum ist ein anvertrautes Gut, dessen Besitzer nichts als der Nutznießer ist, da er es nicht mit sich ins Grab nimmt; er wird eine strenge Rechnung von dem Gebrauch ablegen müssen, welchen er davon gemacht hat.
19. Das Vermögen gibt eine gefährlichere Prüfung als die Armut, weil es eine Versuchung zum Missbrauch und zu Ausschweifungen ist, und weil es schwerer ist, mäßig als ergeben zu sein.
20. Der Ehrgeizige, welcher stolziert, und der Reiche, welcher sich an materiellen Genüssen weidet, sind mehr zu bedauern als zu beneiden; denn man muss die Kehrseite berücksichtigen. Durch die schrecklichen Beispiele von denjenigen, welche gelebt haben, und welche kommen, uns ihr Schicksal zu entschleiern, zeigt der Spiritismus die Wahrheit dieses Wortes Christi: „Wer sich erhöht, wird erniedrigt, und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.“
21. Die Nächstenliebe ist das höchste Gesetz Christi: „Liebt Euch untereinander wie Brüder; liebt Euren Nächsten wie Euch selbst; verzeiht Euren Feinden; tut nicht einem Anderen, was Ihr nicht wollt, dass man Euch tue.“ Dies alles wird in dem Wort Nächstenliebe begriffen.
22. Die christliche Liebe besteht nicht allein im Almosen, denn es gibt eine Christenliebe in Gedanken, Worten und in Handlungen. Derjenige übt die christliche Liebe in Gedanken, welcher nachsichtig für die Fehler seines Nächsten ist; in Worten, welcher nichts sagt, was seinem Nächsten schaden kann; in Handlungen, welcher seinem Nächsten in dem Maße seiner Kräfte beisteht.
23. Der Arme, welcher sein Stück Brot mit Einem, der ärmer als er ist, teilt, übt die christliche Liebe besser, und hat mehr Verdienst vor den Augen Gottes, als derjenige, welcher von seinem Überfluss gibt, ohne sich etwas zu versagen.
24. Wer gegen seinen Nächsten Gefühle der Erbitterung, des Hasses, der Eifersucht und des Grolles nährt, unterlässt die Christenliebe; er lügt, wen er sich einen Christen nennt und beleidigt Gott.
25. Ihr Menschen aller Kasten, aller Religionen und aller Farben, ihr seid alle Geschwister; denn Gott ruft euch alle zu sich. Reicht euch also die Hand, wie auch eure Art ihn anzubeten sei, und flucht nicht gegeneinander; denn der Fluch ist die Übertretung des Gesetzes der Liebe, welches Christus verkündigte.
26. Mit dem Egoismus sind die Menschen immer in fortwährendem Streit; mit der Nächstenliebe werden sie im Frieden leben. Die Nächstenliebe allein kann also, indem sie die Grundlage ihrer Institutionen bildet, ihr Glück in dieser Welt fördern; nach den Worten Christi kann sie auch allein ihr künftige Glück sichern; denn sie enthält in sich alle Tugenden, welche sie zur Vervollkommnung führen können. Mit der wahren Nächstenliebe, wie Christus sie gelehrt und geübt hat, gibt es keinen Egoismus, keinen Hochmut, keinen Hass, keine Eifersucht, keine Verleumdung mehr; wie auch seinen übertriebenen Hang zu den Gütern dieser Welt. Deswegen trägt der christliche Spiritismus als Motto: „Außerhalb der Nächstenliebe kein Heil.“